Versiegelte Zeit
In »Versiegelte Zeit« verbinden sich moderner Tanz und Live-Video zu einer Performance, die sich ästhetisch und inhaltlich den Filmen und der poetischen Logik des russischen Regisseurs Andrej Tarkowski widmet.
Details
Video
Ensemble
Doku
Premiere im Rahmen des Feldkirch Festivals
am 8. Juni 2010 im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz.
Dauer: ca. 60 Minuten
Für den Zuschauer ergibt sich aus der direkt vor ihm stattfindende Szene mit vier Tänzern und dem Kameramann sowie ihrer Projektion oberhalb der Bühne ein Ganzes - wobei die Position der Kamera bestimmt, wo der Fokus des Betrachters liegt.
Ganz so, wie es sich ein Regisseur wünscht und wie Andrej Tarkowski es beherrscht hat. Sieht man seine Filme kann sich eine Faszination einstellen, die schnell über den Film hinausgeht. Der Choreograph Carlos Matos entwickelte daraus die Idee für eine Tanzperformance und beantwortete so das Thema des Feldkirchfestivals 2010: "Wo steckt deine russische Seele?"
Für den seit jeher videoaffinen Matos stand früh fest, dass auch diesmal das digitale Videobild eine zentrale Rolle spielen sollte. Infolge der langjährigen Zusammenarbeit mit Giacomo Blume wurde dieser früh in das Konzept einbezogen. Erste Ideen über Einsatzmöglichkeiten von Steadicam und Funk-Videoübertragung wurden ebenso ausgetauscht wie für Gestaltungselemente wie die Projektion mit einem Beamer durch fallenden Sand.
Die Szenen der Performance lehnen sich an Bilder aus Tarkowskis Filmen an. Lose verknüpft erzählen sie viel über Rituale und Verhaltensweisen von Menschen, die aus ihrem normalen Kontext herausgerissen sind. Der Zuschauer sieht, wie diese zwischen den Tänzern zustande kommen, wer vor der Kamera agiert und welche Wirkung Requisiten und die Wahl des Ausschnittes auf den Film haben. Eine Art Making-off und gleichzeitig etwas sehr eigenständiges, denn der live entstehende Film ist eine einstündige Plansequenz.
Beim ersten Aufeinandertreffen von Tänzern und Kameramann wäre es beinahe zur Beerdigung des Konzepts gekommen. Zu schwierig erschien die Annäherung von Tanz und Video. Diese Herausforderung wurde jedoch in vielen Proben angenommen. Für die Tänzer war es ungewohnt eine weitere ständig auf der Bühne anwesende Person zu integrieren, für den Kameramann kompliziert sich mit ihnen zu arrangieren und gleichzeitig ein spannendes Bild zu liefern, welches live über der Bühne projiziert eine sinnvolle Bereicherung der Szene ergibt.
In der finalen Performance sind die Wege und Winkel des Kameramanns präzise abgesteckt. Seine Haltung variiert zwischen Beobachtend bis Bestimmend. In manchen Szenen wird erst fortgefahren, wenn er sein Bild gefunden hat. So bleibt bis zum Schluss ein spannendes Verhältnis zwischen Tanz, Video und Gesamtperformance erhalten.
zur Performance – einem Tanzprojekt der Kompanie „Oficina dos Sentidos“
Das Tanzprojekt “Versiegelte Zeit” ist eine choreografische und tänzerische Auseinandersetzung mit der künstlerischen Arbeit von Andrei Arsenjewitsch Tarkowski, einem der bedeutendsten russischen Filmregisseure des 20.Jahrhunderts.
Eine Hommage an Tarkowski? Ein bisschen vielleicht, aber hauptsächlich ist das Stück eine Annäherung an seine Auffassungen zur Ästhetik und Poetik des Films als eigenständiger Kunstform.Es ist eine Suche nach Übereinstimmungen und Anknüpfungspunkten im eigenen kreativen Schaffensprozess bei der Arbeit mit Tanz und Bewegung.
Vier Aspekte stehen dabei im Vordergrund, die für Tarkowski von grundlegender
Bedeutung waren:
- die Frage, ob und wie man Zeit fixieren kann;
- der Rhythmus des Zeitflusses im filmischen respektive choreografischen Bild
- die Bedeutung von Erinnerung und
- der Umgang mit Poesie (Tarkowski wurde nicht umsonst der “Dichter des Films” genannt).
Wie Tarkowskis Filme basiert das Stück auf einer fragmentarischen und episodischen Erzählstruktur, die einer „poetischen Logik“ folgt (ein Begriff, den er selbst in Bezug auf seine Arbeit prägte).
Einzelne Figuren, szenische Momente oder prägnante Bilder aus den Filmen “Iwans Kindheit”, “Der Spiegel”, “Nostalghia”, “Opfer” und “Andrej Rubljow” dienen als Basis und Inspirationsquelle für das Kreieren eigener Charaktere durch die Darsteller/innen, die sich in einer auf der Bühne erschaffenen “Tarkowski-Welt” begegnen und diese miteinander teilen.
Es entfalten sich kurze Episoden, die durch die Poesie der Körperbewegung Einblicke in die innere Welt dieser Figuren geben.
Vier Tänzer/innen und ein Videokünstler, der ebenfalls aktiv ins Bühnengeschehen einbezogen wird, begeben sich auf die Suche nach den Widersprüchen des Lebens, der Anwesenheit des Schrecklichen im Schönen und umgekehrt; nach der Dualität der Dinge, die Tarkowski in seiner Arbeit immer wieder thematisierte und ihn zu seinen außergewöhnlichen Filmen voller einprägsamer, ambivalenter Bilder inspirierte, in denen Realität und Poesie, Konkretes und Transzendentes zu einer Einheit verschmelzen.
Eine „mittanzende“ Live-Kamera, sowie die Einspielung von Video-Projektionen sind neben der eigentlichen Choreografie zentrale Elemente des Stückes.
Die Kamera agiert als das beobachtende, dokumentarische Auge. Sie registriert und bewahrt choreografische Momente, die zu einem späteren Zeitpunkt auf der Leinwand reproduziert werden. Sie ist sozusagen das Gedächtnis und Unterbewusstsein des Stückes und konfrontiert Tänzer/innen und Publikum gleichermaßen immer wieder mit der Vergangenheit. Dass dabei die eigene Erinnerung an einen bestimmten Moment mit der von der Kamera fokussierten und festgehaltenen Erinnerung desselben Moments nicht unbedingt übereinstimmen müssen, wirft die Frage nach der Subjektivität menschlicher Wahrnehmung auf.
Zusätzlich werden mit der Kamera während der Vorstellung Standbilder vom Bühnengeschehen aufgenommen, die zeitgleich zur Performance als Teile einer „bewegten“ Fotoausstellung mit wechselnden Bildern an verschiedene Orte außerhalb der Bühne übertragen werden. Die Zeit im Bühnenraum wird also fixiert und anderswo zugänglich gemacht.
Die choreografierten Bilder in diesem Tanzprojekt nähern sich der einzigartigen Ästhetik Tarkowskischer Filme, indem sie sich an deren spezifischem Rhythmus und Zeitfluss orientieren.
Der Tanz als emotionale Realität; der die Spiritualität und Eindringlichkeit von Tarkowskis Filmen in Bewegung einzufangen und zu „versiegeln“ sucht.
Weitere mit Carlos Matos produzierte Stücke:
Romeos Julia (2008)
Die auf die wesentlichen Gefühle zwischen Romeo und Julia reduzierte Geschichte nach Shakespeare.
Mit Videos von den Originalschauplätzen und assoziativen Motiven.
Premiere im Theater am Kirchplatz, Schaan (Liechtenstein). Weitere Aufführungen am Stadttheater Hildesheim, im Theater »Die Tonne« Reutlingen und in Aarhus, Dänemark.
Bombeiros (2009)
Tanzperformance für drei Tänzerinnen und einen Tänzer und in der Feuerwehrwache Schaan, Liechtenstein. Ein Tanz mit den Elementen und einem Video ...